A. Gutmann: Die Schwabenkriegschronik des Kaspar Frey

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Titel
Die Schwabenkriegschronik des Kaspar Frey und ihre Stellung in der eidgenössischen Historiographie des 16. Jahrhunderts.


Autor(en)
Gutmann, Andre
Reihe
Forschungen 176
Erschienen
Stuttgart 2010: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
1002 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Regula Schmid Keeling, Departement für Geschichte des Mittelalters, der Neuzeit und der Historischen Hilfswissenschaften, Universität Freiburg (Schweiz)

Knapp über tausend Seiten umfasst die 2007 / 08 an der Universität Freiburg angenommene Dissertation von Andre Gutmann. Die geduldige Lektüre, dies sei vorausgeschickt, lohnt sich!

Brennpunkt der Arbeit ist die in einer Abschrift des 16. Jahrhunderts (Thurgauische Kantonsbibliothek) vorliegende Chronik des Schwabenkriegs des Notars Kaspar Frey. Die wichtigsten Ergebnisse Gutmanns sind die Identifikation des Autors dieses bislang nicht in den Kanon spätmittelalterlicher Chroniken der Eidgenossenschaft eingeführten Texts, dessen Verortung in der Historiographie als eines der frühesten Werke über den Schwabenkrieg, schliesslich die Edition des Texts (inkl. Editionsgrundsätze, Rekonstruktion der Textverluste, Glossar und Register).

Kaspar Frey war während des Kriegsjahrs 1499 Stadtschreiber (seit 1494) und Schultheiss (seit Juni 1498) von Baden. Im Februar 1499 wurde er «oberhoptman» der städtischen Augebote und deren Zusätze, die bis Kriegsende die Besatzung von Koblenz und Klingnau stellten. Im Juni 1499 wechselte Frey in den Dienst des Abts von St. Gallen, wo er als Diplomat, Lehenvogt und Reichsvogt in Rorschach bis 1515 blieb. Anschliessend war Frey bis 1526 Stadtschreiber von Zürich; als er altershalber zurücktrat, wurde er in den Rat gewählt. Er starb wenig später im Winterhalbjahr 1526 / 27 im Alter von etwa 60 Jahren.

Freys Chronik umfasst den Zeitraum von Dezember 1498 bis zum Basler Frieden vom 22. September 1499. Der letzte Abschnitt enthält einen Verweis auf eine Fortsetzung der Erzählung. Diese macht Gutmann in einem bis 1509 reichenden, im gleichen Frauenfelder Codex liegenden Text aus, dessen weitere Analyse wünschenswert ist. Wichtigster Zeuge für die Identifikation des Autors ist Valerius Anshelm. Bei der Darstellung der Friedensverhandlungen in Basel folgt er dem Text der Schwabenkriegschronik und fügt hinzu, dies habe der damals anwesende «Caspar Fryg» berichtet. 1 Die Präsenz Freys in Basel als Amtmann des Abts von St. Gallen ist denn auch eine der verschiedenen Informationen, die der Text selbst zur Identifizierung des Autors
beiträgt.

Auch die Entstehungszeit des Werks lässt sich nicht direkt aus dem Text ableiten. Die Eingrenzung gelingt Gutmann über den Vergleich mit der Reimchronik Niklaus Schradins. Dabei sind zwei Ergebnisse Gutmanns zentral: Erstens basiert Schradins Darstellung eindeutig auf der Chronik Freys und nicht umgekehrt, und zweitens wurde sie nicht, wie von der Forschung bislang angenommen, am 14. Januar gedruckt, sondern erst am 1. September 1500. Danach schrieb Frey seine Ausführungen gleich nach Kriegsende auf; das Werk dürfte bis April 1500 fertig gewesen sein. Die Chronik gehört damit neben den wohl noch während des Kriegs begonnenen «Acta des Tirolerkriegs», den Ansätzen des Luzerner Stadtschreibers Ludwig Feer vom Juni 1499, und der im Lauf des Jahres 1500 fertiggestellten Reimchronik von Johannes Lenz zu den frühesten historiographischen Bewältigungen des Schwabenkriegs.

Geradezu kriminalistisch mutet Gutmanns Rekonstruktion des weiteren Wegs der Chronik an. Nach Schradin, der als Kanzleischreiber der Abtei in St. Gallen bei der Abfassung der Reimchronik in persönlichem Kontakt mit Frey stand, nutzte ein unbekannter Zürcher Freys Text – vielleicht Heinrich Utinger – zwischen 1501 und 1503. In den nächsten Jahren wurde er zu einer wichtigen Quelle Heinrich Brennwalds. Von hier gelangte die Schwabenkriegschronik nach Bern in die Hände Anshelms. Möglicherweise erhielt dieser die Chronik auf die bei der Zürcher Regierung im August 1529 vorgebrachte Bitte nach chronikalischem Material hin, vielleicht geschah dies aber auch im Austausch mit Angehörigen des reformierten, historisch tätigen Freundeskreises um Zwingli, in den unter anderen Frey (nunmehr als Stadtschreiber von Zürich), Brennwald und Utinger eingeschlossen waren. Die Sammelhandschrift in Frauenfeld entstand wieder im Zürcher Gelehrtenumfeld um 1560, in das der Text aus Bern erneut gelangt war.

Gutmanns Arbeit ist einem hohen Positivismus verpflichtet. Er stellt Frey als reflektierten, nüchternen Historiker vor und sieht den Wert der Chronik folgerichtig unter dem Aspekt der Primärquelle zur Ereignisgeschichte. Gutmanns Akribie zeigt bei der Rekonstruktion der aktiven und passiven Rezeption die schönsten Früchte und lässt das faszinierende Bild eines immer wieder aufwallenden gelehrten Diskurses um die richtige Darstellung des Schwabenkriegs aufscheinen. Allerdings wird die beeindruckende Detailfülle zuweilen zu einer Ansammlung von Informationen, die den Erkenntniswert nicht mehr zu erhöhen vermögen. So ist es wohl nur für lokalhistorisch Interessierte spannend zu erfahren, welchem Beruf Freys Schwager Hans nachging (er war Wirt im Kusen in Küsnacht am Zürichsee) oder wie die klerikale Karriere der Tochter aus erster Ehe von Freys Frau verlief (sie war Nonne im Dominikanerinnenkloster St. Gallen, zusammen mit ihrer Kusine).

Gutmann erleichtert den Lesern die Lektüre allerdings durch einen transparenten Aufbau, eine präzise Sprache und nützliche Verweise. Wer die Geduld für die tausend Seiten dennoch nicht aufbringen will, kann auf Artikel Gutmanns zurückgreifen. 2 Wer aber über die oben geschilderten zentralen Themen hinaus eine wahrhaft herkulische, mit höchster methodischer Sorgfalt gestaltete Arbeit nachvollziehen, dabei «ganz nebenbei» die Faktengeschichte des Schwabenkriegs, Details zur Kriegsorganisation, faszinierende Ausführungen zur Stellung professioneller Schreiber oder zur gelehrten Beschäftigung mit Geschichte im 16. Jahrhundert mitnehmen will, dem sei dieses imposante Werk der Historiographiegeschichte in seiner ganzen Fülle wärmstens empfohlen.

1 Blösch, Emil (Hrsg.): Die Berner Chronik des Valerius Anshelm, Bd. 2, Bern 1884, 249..
2 Gutmann, Andre: «Frey, Kaspar». In: Dunphy, Graeme (Hrsg.): The Encyclopedia of the Medieval Chronicle, Bd. 1, Leiden, Boston 2010, 639 – 640; Ders.: Blutvergiessen, Zerstörung und ungezügelter Hass. Wie ein Krieg einen Beamten zur Historiographie brachte. In: Rau, Susanne, Studt, Birgit (Hrsg.): Geschichte schreiben. Ein Quellenhandbuch zur Historiographie (1350 – 1750), Berlin 2009, 185 – 195; Ders.: Baden – St. Gallen – Zürich. Die wechselhafte Karriere des Chronisten Kaspar Frey. In: Argovia 120 (2008), 94 – 130.

Zitierweise:
Regula Schmid: Rezension zu: Gutmann Andre: Die Schwabenkriegschronik des Kaspar Frey und ihre Stellung in der eidgenössischen Historiographie des 16. Jahrhunderts, 2 Bde. Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag, 2010 (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B: Forschungen, 176. Band, Teil I und II). Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 1, 2012, S. 51-53.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 1, 2012, S. 51-53.

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